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19-06-2024
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Überwachungsaufgabe des Inklusionsbeauftragten

Der Inklusionsbeauftragte achtet darauf, dass der Arbeitgeber die ihm obliegenden Pflichten aus dem Schwerbehindertenrecht erfüllt (§ 181 Satz 3 SGB IX).

Der nachfolgende Beitrag enthält einen kurzen Auszug aus dem Kapitel „Stellenbesetzungsverfahren“ im Fachbuch Schwerbehindertenrecht für Inklusionsbeauftragte der Arbeitgeber, welches direkt beim Verlag Tredition bestellt werden kann.

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat (§ 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) und Personalrat (§ 66 Abs. 1 BPersVG bzw. Personalvertretungsgesetze der Länder) vor jeder Einstellung unter Vorlage der Bewerbungsunterlagen[1] zu unterrichten und gleichermaßen über Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit unmittelbar nach Eingang zu informieren (§ 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX).

Weiterhin muss der Arbeitgeber die SBV über Bewerbungen schwerbehinderter Menschen (oder ihnen gleichgestellter behinderter Menschen) und Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sofort, „unmittelbar nach Eingang“ unterrichten. Der SBV sind die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen zu übermitteln (§ 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX). Entscheidungsrelevant im Sinne von § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX sind diejenigen Teile der Bewerbungsunterlagen, welche für die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers maßgeblich sind und die die Schwerbehindertenvertretung zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Beteiligung im Stellenbesetzungsverfahren für erforderlich halten darf.[2]

Ein Sammeln der eingegangenen Bewerbungen und späteres gebündeltes Weiterleiten an die SBV ist zu spät, da nicht "unmittelbar nach Eingang".[3] Ebenso wenig liegt eine unmittelbare Unterrichtung der SBV vor, wenn die eingehenden Bewerbungen zunächst durch einen potentiellen Vorgesetzten der Bewerber „vorgeprüft“ werden, da „unmittelbares Unterrichten“ auch „ohne Zwischenschritte über weitere Personen“ bedeutet.[4]

Das Recht auf Unterrichtung steht der SBV auch dann zu, wenn der Arbeitgeber bei einer internen Stellenbesetzung auf eine Ausschreibung der Stelle verzichtet und von sich aus einen schwerbehinderten Arbeitnehmer als Bewerber in seine Auswahlentscheidung einbezogen hat.[5]

"Unterrichtung" im Sinne von § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX meint eine gezielte Unterrichtung unter Hinweis auf die Schwerbehinderung des Bewerbers und geht über ein bloßes Einräumen des Zugangs zu den Bewerbungsunterlagen hinaus.[6] Es genügt daher nicht, der SBV alle eingehenden Bewerbungen elektronisch zugänglich zu machen. Vielmehr muss der Arbeitgeber von sich aus die SBV darüber unterrichten, dass sich auch schwerbehinderte Menschen (oder gleichgestellte behinderte Menschen) beworben haben. Diese Information muss sich die SBV nicht selbst aus den Unterlagen heraussuchen.[7]

Erfolgt die Unterrichtung der SBV nicht, liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 238 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX vor, welche nach § 238 Abs. 2 SGB IX mit einer Geldbuße bis zu 10.000 € geahndet werden kann.

Nach der Rechtsprechung des BAG muss ein Stellenbewerber auf seine Schwerbehinderung entweder im Bewerbungsschreiben oder an herausgehobener Stelle im Lebenslauf hinweisen. Übersieht der Arbeitgeber einen nicht im Bewerbungsschreiben oder Lebenslauf (sondern in den Anlagen) aufgenommenen Hinweis auf die Schwerbehinderung, so dass aus diesem Grund eine Beteiligung der SBV im Stellenbesetzungsverfahren oder eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch im öffentlichen Dienst entgegen § 165 Satz 3 SGB IX unterbleibt, liegt keine entschädigungspflichtige Diskriminierung des Bewerbers nach dem AGG vor.[8]

[…]

Wird eine Stelle mit Personalführungsfunktion besetzt, ohne dass sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch auf die Stelle beworben hat, muss die Schwerbehindertenvertretung nur dann am Besetzungsverfahren beteiligt werden, wenn die Aufgabe besondere schwerbehinderungsspezifische Führungsanforderungen stellt.[9] Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Vorgesetzte für die behinderungsgerechte Einrichtung der Arbeitsplätze (§ 164 Abs. 4 SGB IX) zuständig ist.[10]

[…]

Beabsichtigt der Arbeitgeber, eine Bewerberin / einen Bewerber einzustellen, muss er die SBV vor seiner Entscheidung unterrichten und anhören (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX), ihr also Gelegenheit zur Stellungnahme geben, wenn sich auch ein schwerbehinderter Mensch / einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellter Mensch um die Stelle beworben hat.[11] Denn die Entscheidung über Bewerbungen und die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist eine personelle Einzelmaßnahme und damit eine „Angelegenheit“ i.S.v. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.[12] Sie berührt den Bewerber als einzelnen schwerbehinderten Menschen.[13] Eine Frist von 7 Tagen für die Stellungnahme der SBV ist in der Regel ausreichend.

[…]

Die Beteiligungsrechte der SBV gelten gleichermaßen bei der Entscheidung des Arbeitgebers über die Entfristung befristet abgeschlossener Arbeitsverträge, solange seine Entscheidung auch die Belange eines schwerbehinderten Mitarbeiters berührt.[14]

 

[1] Zum Umfang der vorzulegenden Unterlagen vergl. BAG, Beschluss vom 14.04.2015, 1 ABR 58/13, Rdz. 18; BAG, Beschluss vom 14.12.2004, 1 ABR 55/03, Leitsatz 1; BAG, Beschluss vom 17.06.2008, 1 ABR 20/07, Orientierungssatz 1.

[2] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz 38.

[3] BAG, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20, Rdz. 31.

[4] LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.11.2021, 7 Sa 483/21, Leitsatz, Rdz. 54, juris.

[5] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz. 36.

[6] BAG, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20, Rdz. 31.

[7] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2019, 15 Sa 949/19, Rdz. 36, juris; BAG,
Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20, Rdz. 33.

[8] BAG, Urteil vom 18.09.2014, 8 AZR 759/13, Rdz. 35, 36.

[9] BAG, Beschluss vom 17.08.2010, 9 ABR 83/09, Leitsatz.

[10] BAG, Beschluss vom 17.08.2010, 9 ABR 83/09, Rdz. 21.

[11] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz. 29.

[12] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz. 29; BAG, Beschluss vom 19.12.2018, 7 ABR 80/16, Rdz. 22.

[13] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz. 29; BAG, Beschluss vom 19.12.2018, 7 ABR 80/16, Rdz. 22.

[14] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz. 30, 36; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2019, 3 TaBV 724/18, Orientierungssatz 1, Rdz. 73, juris.

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